EU-GMP-Leitfaden Teil 1: ein Überblick

Was ist der EU-GMP-Leitfaden?
Der EU-GMP-Leitfaden legt fest, wie Arzneimittel in der EU sicher und qualitativ hochwertig hergestellt werden müssen. Er bildet die Grundlage für Qualitätssicherung, normgerechte Produktion und kontinuierliche Kontrolle. Ziel ist eine gleichbleibend hohe Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln. Klare Vorgaben für Anlagen, Personal und Dokumentation stellen sicher, dass jeder Produktionsschritt nachvollziehbar bleibt. Der EU-GMP-Leitfaden gilt verbindlich für Hersteller, Behörden und alle, die an der Arzneimittelherstellung beteiligt sind.
Welche Kapitel sind in Teil 1 des EU-GMP-Leitfadens enthalten?
Der EU-GMP-Leitfaden Teil 1 enthält 9 Kapitel, die Regeln für die GMP-konforme Herstellung von Arzneimitteln definieren – vom Qualitätsmanagement bis zur Selbstinspektion:
Kapitel 1: Pharmazeutisches Qualitätssystem (PQS)
Das Kapitel verbindet die GMP-Vorgaben mit einem strukturierten Qualitäts-Risikomanagement (QRM) und zeigt, wie Prozesse regelmäßig überprüft und optimiert werden. Die Verantwortung dafür trägt die Unternehmensleitung.
Wesentliche Vorgaben:
- Einrichtung eines umfassenden Qualitätsmanagements, das Abweichungen schnell erkennt und behebt.
- Verpflichtende Managementbewertungen (Reviews) zur kontinuierlichen Verbesserung.
Kapitel 2: Personal
Das Kapitel legt fest, dass ausreichend geschulte Mitarbeiter mit klaren Zuständigkeiten vorhanden sein müssen. Neben der Organisation der Personalstrukturen spielen regelmäßige Schulungen und Verhaltensstandards eine zentrale Rolle.
Wesentliche Vorgaben:
- Regelmäßige GMP-Schulungen und eindeutige SOP legen Rollen und Abläufe fest.
- Mitarbeiter müssen ihr Zuständigkeitsgebiet kennen und korrekt dokumentieren.
Kapitel 3: Räumlichkeiten und Ausrüstung
Eine fehlerfreie Produktion erfordert geeignete Räumlichkeiten und technisch einwandfreie Ausrüstung. Das Kapitel definiert daher strenge Vorgaben für die Gestaltung, Wartung und Reinigung der Produktionsumgebung.
Wesentliche Vorgaben:
- Räumliche Trennung von Herstellungsschritten, angepasste Klima- und Lüftungssysteme, regelmäßige Wartung.
- Überwachung aller Parameter, die für Produktqualität relevant sind (z. B. Luftreinheit, Temperatur).
Kapitel 4: Dokumentation
Das Kapitel besagt, dass nur eine vollständige und nachvollziehbare Dokumentation eine zuverlässige Rückverfolgbarkeit aller Arbeitsschritte ermöglicht. Dokumente werden dabei in Vorgaben (SOPs, Richtlinien) und Nachweise (Protokolle, Berichte) unterteilt.
Wesentliche Vorgaben:
- Anwendung der Guten Dokumentationspraxis (GDocP) mit ALCOA+-Prinzipien (z. B. lesbar, zeitnah, original).
- Präzise Trennung zwischen Anweisungen (wie etwas getan werden soll) und Nachweisen (was tatsächlich passiert ist).
Kapitel 5: Produktion
Die Herstellung von Arzneimitteln muss nach validierten Verfahren erfolgen, um eine gleichbleibend hohe Qualität zu gewährleisten. Das Kapitel beschreibt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Kontaminations- und Verwechslungsrisiken zu minimieren.
Wesentliche Vorgaben:
- Einhaltung freigegebener Herstellungsanweisungen und Prozessparameter.
- Regelmäßige Prozessvalidierungen, um die Leistungsfähigkeit der Herstellverfahren zu belegen.
Kapitel 6: Qualitätskontrolle
Bevor Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden, müssen sie umfassend geprüft werden. Das Kapitel regelt die Qualitätskontrolle von Rohstoffen, Zwischen- und Endprodukten und stellt sicher, dass nur spezifikationskonforme Produkte freigegeben werden.
Wesentliche Vorgaben:
- Validierte Prüfmethoden und dokumentierte Prüfpläne (Stichprobengröße, Spezifikationen).
- Klare Zuständigkeiten für Freigabe oder Sperrung von Chargen.
Kapitel 7: Ausgelagerte Tätigkeiten
Dieses Kapitel beschreibt, welche Anforderungen bei der Zusammenarbeit mit externen Herstellern und Laboren gelten. Klare Verantwortlichkeiten und regelmäßige Kontrollen sind dabei essenziell.
Wesentliche Vorgaben:
- Schriftliche Verträge mit klarer Rollen- und Verantwortungszuordnung.
- Auftraggeber trägt letztverantwortlich die GMP-Verantwortung und führt regelmäßig Lieferantenaudits durch.
Kapitel 8: Beanstandungen, Qualitätsmängel und Produktrückrufe
Dieses Kapitel beschreibt, wie mit Beanstandungen, Qualitätsmängeln und Rückrufen umzugehen ist. Ein effizientes Reklamations- und Abweichungsmanagement stellt sicher, dass Probleme schnell erkannt und behoben werden.
Wesentliche Vorgaben:
- Detaillierte Untersuchung jeder Beanstandung, Dokumentation der Ursachen und Durchführung von Korrekturmaßnahmen (CAPA).
- Schriftlich festgelegte Rückrufverfahren, die sofort einsetzbar sind.
Kapitel 9: Selbstinspektion
Dieses Kapitel legt fest, wie Unternehmen durch Selbstinspektionen eigene GMP-Prozesse überprüfen und verbessern können. Identifizierte Mängel müssen systematisch analysiert und behoben werden.
Wesentliche Vorgaben:
- Unabhängige Prüfteams, klar definierte Checklisten und systematische Auswertung.
- Dokumentation und Nachverfolgung von Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen (CAPA).
Ergänzende Annexes (Anhänge)
Zusätzliche Anhänge bzw. Annexes ergänzen den Leitfaden und sind rechtlich bindend. Sie vertiefen spezifische GMP-Anforderungen und setzen verbindliche Standards für verschiedene Produktionsbereiche. Dazu gehören unter anderem:
- Annex 1 (Sterile Herstellung): Reinraumklassen, Partikelkontrolle und Kontaminationsvermeidung bei sterilen Produkten.
- Annex 11 (Computersysteme): Richtlinien für Validierung, Audit-Trails und Datensicherheit in digitalisierten Prozessen.
- Annex 13 (Prüfpräparate): Regeln für Herstellung, Kennzeichnung und Distribution von Produkten für klinische Studien.
- Annex 15 (Qualifizierung und Validierung): Qualifizierungsphasen von Anlagen (DQ, IQ, OQ, PQ), Prozessvalidierung und Reinigungsvalidierung.
- Annex 16 (QP-Freigabe und Chargenfreigabe): Verantwortlichkeiten der Qualified Person (QP) beim Freigabeprozess.
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Praxisbeispiele aus dem EU-GMP-Leitfaden Teil 1
Der EU-GMP-Leitfaden hilft Unternehmen, ihre Prozesse zu optimieren und Compliance zu sichern. Mit ihm können GMP-regulierte Unternehmen ihre Prozesse konkret optimieren und Compliance sicherstellen. Drei Beispiele zeigen, wie Unternehmen den Leitfaden umsetzen:
Personalhygiene
Ein mittelständischer Arzneimittelhersteller führt tägliche Hygiene-Checks ein. Mitarbeitende legen ihre Schutzkleidung an festgelegten Stationen an. Ein kurzes Logbuch hält Uhrzeit und Namenskürzel fest. So lassen sich Kontaminationsquellen schnell erkennen und beseitigen.
- 2.15: „Hygieneprogramme sollten von der Geschäftsleitung unterstützt und im Rahmen der Schulung eingehend diskutiert werden.“
- 2.17: „Essen, Trinken, Kaugummikauen oder Rauchen, oder die Aufbewahrung von Speisen, Getränken, Tabakerzeugnissen oder Medikamenten für den persönlichen Gebrauch sollten in den Produktions- und Lagerbereichen verboten sein.“
- 2.18: „Jede Person, die die Herstellungsbereiche betritt, sollte eine den jeweils auszuführenden Arbeiten angepasste Schutzkleidung tragen.“
Dokumentationsabläufe
Ein kleines Pharma-Labor erfasst Prüfergebnisse direkt nach der Messung in einer LIMS-Software. Der Laborleiter bestätigt die Richtigkeit per elektronischer Signatur. Die direkte Erfassung nach ALCOA+-Prinzip verhindert Tippfehler, sichert Daten und erleichtert Auswertungen.
- 4.1: „Für elektronische Dokumente wie Vorlagen, Formulare und Masterdokumente sollten geeignete Kontrollen eingeführt werden. Geeignete Kontrollen um die Richtigkeit und Vollständigkeit der Protokolle während der Aufbewahrungszeit sicher zu stellen, sollten eingerichtet sein.“
- 4.8: „Protokolle sollten zum Zeitpunkt des jeweiligen Vorgangs und so angefertigt oder vervollständigt werden, dass sich alle wichtigen, die Herstellung der Arzneimittel betreffenden Tätigkeiten rückverfolgen lassen.“
- 4.10: „Es sollte klar festgelegt werden, welches Protokoll mit welcher Herstellungsaktivität zusammenhängt und wo sich dieses Protokoll befindet. Es sollten sichere, und soweit angezeigt, validierte Kontrollmaßnahmen vorhanden sein, mit denen die Vollständigkeit und Richtigkeit der Protokolle während der Aufbewahrungszeit sichergestellt wird.“
Beanstandung und Abweichung
Eine Reklamation wegen fehlerhafter Chargenkennzeichnung deckt auf: Ein Mitarbeitender hat das Etikett mehrfach ausgedruckt. Die Analyse zeigt: Ein SOP-Schritt zur Etikettenkontrolle fehlte. Das Unternehmen entwickelt einen CAPA-Plan: Ein Barcodescanner gleicht künftig Etiketten ab. So sinkt das Risiko falscher Kennzeichnungen erheblich.
- 1.8 (vii): „Alle relevanten Abweichungen werden vollständig aufgezeichnet, mit dem Ziel untersucht, die eigentliche Ursache festzustellen und angemessene Korrekturmaßnahmen und/oder vorbeugende Maßnahmen (CAPAs) einzuleiten.“
- 1.8 (xiv): „Angemessene Korrekturmaßnahmen und/oder vorbeugende Maßnahmen (CAPAs) sollten identifiziert und ergriffen werden als Reaktion auf die Überprüfung. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen sollte überwacht und bewertet werden in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Qualitäts-Risikomanagements.“
- 4.9: „Jede Änderung einer Eintragung in einem Dokument sollte abgezeichnet und datiert sein. Trotz Änderung sollte die ursprüngliche Information lesbar bleiben. Sofern angezeigt, sollte der Grund für die Änderung protokolliert werden.“
Häufige Stolpersteine bei der Umsetzung des EU-GMP-Leitfadens Teil 1
Unklare Verantwortlichkeiten
- Risiko: Unklare Rollen und Zuständigkeiten führen dazu, dass GMP-Aufgaben übersehen oder doppelt erledigt werden.
- Tipp zur Vermeidung: Definieren Sie Verantwortlichkeiten in einem Organigramm mit eindeutigen Funktionsbeschreibungen und SOPs. Dokumentieren Sie diese klar und kommunizieren Sie sie regelmäßig im Team.
Mangelnde Reinraumbedingungen
- Risiko: Fehlende Schleusen, unzureichende Luftfilterung oder unsaubere Oberflächen begünstigen Kontaminationen.
- Tipp zur Vermeidung: Warten Sie Lüftungs- und Filtertechnik regelmäßig, erstellen Sie einen klaren Reinigungsplan und schulen Sie Mitarbeitende in korrekter Reinraumhygiene.
Unvollständige Chargendokumentation
- Risiko: Nicht erfasste Arbeitsschritte oder unleserliche Einträge erschweren die Rückverfolgbarkeit und erhöhen das Risiko für Chargenrückrufe.
- Tipp zur Vermeidung: Nutzen Sie eine standardisierte Chargendokumentation mit Checklisten, schulen Sie Mitarbeitende in zeitnaher, lesbarer Dokumentation und führen Sie regelmäßige Stichprobenprüfungen durch.
Fehlendes Qualitäts-Risikomanagement (QRM)
- Risiko: Ohne systematische Risikoanalyse bleiben potenzielle Gefahren unerkannt, was die Patientensicherheit gefährden kann.
- Tipp zur Vermeidung: Etablieren Sie ein QRM-Team, setzen Sie FMEA oder ähnliche Methoden ein und überprüfen Sie Prozesse kontinuierlich auf Risiken. Passen Sie Maßnahmen bei Bedarf gezielt an.
Zu wenig Fokus auf Personal
- Risiko: Fehlende GMP-Schulungen oder Hygienetrainings führen zu falschen Verhaltensweisen im Herstellungsumfeld.
- Tipp zur Vermeidung: Planen Sie fortlaufende Qualifizierungsmaßnahmen, dokumentieren Sie alle Schulungen und überprüfen Sie deren Wirksamkeit regelmäßig durch interne Audits oder Kompetenztests.
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Checkliste: EU-GMP-Leitfaden Teil 1 – Die wichtigsten To-dos
- PQS: Ist ein effektives QRM-Konzept etabliert und werden regelmäßige Reviews durchgeführt?
- Personal: Werden regelmäßige GMP-Schulungen durchgeführt und Zuständigkeiten klar geregelt?
- Räumlichkeiten/Ausrüstung: Existieren aktuelle Wartungspläne und werden Reinraumstandards konsequent eingehalten?
- Dokumentation: Sind ALCOA+-Vorgaben umgesetzt und SOPs klar von Protokollen getrennt?
- Produktion/QK: Sind Herstellungs- und Prüfprozesse validiert und Freigaben unabhängig?
- Ausgelagerte Tätigkeiten: Sind schriftliche Verträge vorhanden und werden Lieferanten regelmäßig auditiert?
- Beanstandungen/Abweichungen: Ist der CAPA-Prozess klar definiert und ein Rückrufverfahren implementiert?
- Selbstinspektion: Werden regelmäßige Audits durchgeführt und CAPA-Maßnahmen konsequent nachverfolgt?
Fazit: So gelingt die Umsetzung von EU-GMP Teil 1
Eine konsequente Umsetzung von EU-GMP Teil 1 gewährleistet eine konstant hohe Arzneimittelqualität. Der Leitfaden umfasst alle zentralen Aspekte – von Dokumentation und Validierung bis hin zur Reinraumproduktion. Frühzeitige Schulungen, lückenlose Dokumentation und ein effektives Risikomanagement schützen Patienten und sichern die regulatorische Compliance.
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Verwendete Quellen
Bundesgesundheitsministerium. (o. J.). Bekanntmachungen. URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/bekanntmachungen.html
ECA Foundation. (o. J.). EU GMP Guide Part 1 GMP for Medicinal Products. URL: https://www.gmp-compliance.org/files/guidemgr/Part%20I%20EU_GMP_GUIDE.pdf
European Commission. (o. J.). EudraLex – Volume 4: Good Manufacturing Practice (GMP) Guidelines. URL: https://health.ec.europa.eu/medicinal-products/eudralex/eudralex-volume-4_en
Pharmaceutical Inspection Co-operation Scheme (PIC/S). (o. J.). PIC/S Guide to Good Manufacturing Practice. URL: https://picscheme.org/en/publications