Pharma-Neubau: Planung und Qualifizierung im Überblick

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Das Wichtigste auf einen Blick
- Pharma-Neubauten ermöglichen GMP-konforme Prozesse von Grund auf – ohne teure Nachrüstungen.
- Erfolgreiche Qualifizierung folgt einem 7-Phasen-Modell mit klar definierten Meilensteinen.
- GMP-Compliance, präzise URS und ALCOA+-konforme Dokumentation sind entscheidend für die behördliche Abnahme.
Was versteht man unter Pharma-Neubau?
Ein Pharma-Neubau bezeichnet ein neu errichtetes Gebäude oder einen vollständig separierten Anbau innerhalb eines Pharmawerks. Im Gegensatz zu Umbauten oder Erweiterungen beginnt ein Neubau „auf der grünen Wiese“, also ohne bestehende Infrastruktur. Dadurch lassen sich Bau, Technik und Organisation von Anfang an konsequent auf GMP-Anforderungen und moderne Abläufe ausrichten.
Zu den typischen Projektgrößen bei Neubauten zählen:
- Lab-Neubau: Qualitätskontroll- oder Entwicklungslabore inklusive Gerätepark, Musterarchiv und ggf. Stabilitätslager
- Fill-Finish-Anlage: Aseptische Abfüll- und Verpackungslinien (Vials, Fertigspritzen, Lyophilisatoren, Isolator- oder RABS-Technik)
- OSD-Werk (Oral Solid Sodage): Produktion fester Darreichungsformen, also Granulation, Tablettierung, Kapselierung, Beschichtung und Primärverpackung
- Wirkstoffproduktion: Chemische oder biotechnologische Bulk-Herstellung mit Reaktoren, Fermentern, Aufreinigungs- und Trocknungsschritten
- Logistik-/Lagerzentrum: GDP-gerechte Lagerung, Wareneingang/-ausgang, temperaturkontrollierte Zonen (Ambient, 2-8 °C, -20 °C) und Versandabwicklung
Ein Pharma-Neubau bietet somit die seltene Gelegenheit, Prozesse, Technik und Gebäude von Anfang an GMP-konform zu gestalten.
Welche Regelwerke beeinflussen Neubauten im Pharma-Bereich?
Eine Reihe an zentralen Vorschriften legt fest, wie ein Pharma-Neubau geplant, gebaut und qualifiziert werden muss. Dazu zählen:
- EU-GMP-Leitfaden / Annex 15: Verlangt den vollständigen DQ-, IQ-, OQ- und PQ-Nachweis für Räume, Anlagen und Utilities.
- PIC/S Guide (PI 006): Erlaubt, FAT-/SAT-Ergebnisse in die formale Qualifizierung zu übernehmen und reduziert so Testaufwand.
- FDA 21 CFR 210/211: Schreibt vor, dass Gebäude und Equipment „suitable for intended use“ sein müssen und lückenlos qualifiziert werden.
- ICH Q9 & Q10: Fordert ein risikobasiertes Qualitäts- und Change-Control-System über den gesamten Anlagen-Lebenszyklus.
- ISO 14644 & VDI 6022: Definieren Reinraumklassen, Partikelgrenzwerte und Hygieneanforderungen für Lüftungsanlagen.
Diese Regelwerke schaffen die Grundlage für Neubauten, die von Beginn an prüfsicher und dauerhaft GMP-konform sind.
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Das Phasenmodell eines GMP-Neubauprojekts
Ein GMP-Neubau lässt sich nur dann effizient realisieren, wenn jede Projektphase mit einem klaren Meilenstein endet. Dieses 7-Phasen-Modell begleitet Sie von der ersten Idee bis zum produktiven Betrieb, inklusive aller Nachweise gemäß EU-GMP Annex 15:
Phase 1: Konzept- und Definitionsphase
Ziel:
Die Projektidee wird in ein genehmigungsfähiges Konzept überführt.
Bestandteile:
- Machbarkeitsstudie: Bewertung von Standort, Medienversorgung, ROI und behördlichen Anforderungen
- URS (User Requirements Specification): Definition von Produkten, Chargengrößen, Reinraumklassen, Automatisierungsgrad
- Risikoanalyse: Erste Bewertung potenzieller Risiken wie Kreuzkontamination, Versorgungsausfall oder Sterilitätsverlust gemäß ICH Q9
- Budget & Zeitplanung: Grobschätzung von Investitions- und Betriebskosten (CAPEX/OPEX), Master-Terminplan inkl. Qualifizierungspuffer
- Freigabe: Qualitätssicherung und Produktion bestätigen die URS und Risikoeinschätzung
Phase 2: Planungsphase (Basic Design & Detail Design)
Ziel:
Ein behördentaugliches Detaildesign mit klar definiertem Leistungsumfang wird erstellt.
Bestandteile:
- Zonen- & Blocklayout: Optimierung von Material- und Personalflüssen, Reinraumkonzept, Druckkaskaden
- Detailplanung: Raumpläne, Möblierung, Equipmentlisten, P&IDs, Lasten- und Pflichtenhefte
- Lieferantenauswahl: Audits, Verträge inkl. FAT-/SAT-Vereinbarungen
- Qualifizierungs-Masterplan (VMP): Struktur der GMP-Dokumentation, Rollenverteilung, Risikostrategie
- Risiko-Workshops: Analyse kritischer Systeme, z. B. HVAC (FMEA), Wasseranlagen (HAZOP), Automatisierung (SRA)
Phase 3: Beschaffungs- und Bauphase
Ziel:
Bau und Installation erfolgen GMP-konform und gemäß Planung.
Bestandteile:
- Vergabe & Einkauf: Ausschreibungen, Lieferantenaudits, Vertrags-FATs
- Bauausführung: Rohbau, Reinraumverkleidung, HLK-Installation, Verrohrung und Medienleitungen
- Factory Acceptance Test (FAT): Funktionstests, Dokumentationsprüfung, Software-Freigaben
- Montage vor Ort: Anlagenaufstellung, Materialnachweise, Dichtheitsprüfungen
- PSSR (Pre-Start-Up Safety Review): Sicherheitscheck vor Erstinbetriebnahme
Phase 4: Inbetriebnahmephase (Commissioning)
Ziel:
Die technischen Systeme werden stabil in Betrieb genommen – noch vor der formalen Qualifizierung.
Bestandteile:
- Systemstart: Inbetriebnahme von Strom, HVAC, Wasser, Druckluft, Gebäudetechnik (EMS/BMS)
- Site Acceptance Test (SAT): Sicherheits- und Funktionstests gemeinsam mit den Lieferanten
- Fehlerbehebung: Abgleich mit Punch-List, Optimierung von Parametern
- Dokumentenübergabe: As-Built-Zeichnungen und Handbücher an die QA
- Schulungen: Technisches Personal wird auf Anlagenbedienung und Wartung vorbereitet
Phase 5: Qualifizierungsphase (formale IQ/OQ/PQ)
Ziel:
Die formale Eignung der Systeme wird gemäß EU-GMP Annex 15 nachgewiesen.
Bestandteile:
- IQ (Installationsqualifizierung): Prüfung auf korrekte Installation, Kalibrierung, Reinraum-Validierung (im Ruhezustand)
- OQ (Funktionsqualifizierung): Test kritischer Funktionen, Alarmszenarien, Reinraumleistung im Betrieb
- PQ (Leistungsqualifizierung): Testchargen, Klimastresstests unter Realbedingungen
- Abweichungsmanagement: Umsetzung von Korrekturmaßnahmen (CAPA), Erstellung des Abschlussberichts
Phase 6: Behördliche Inspektion und Freigabe
Ziel:
Erhalt der Herstellungserlaubnis oder eines GMP-Zertifikats.
Bestandteile:
- Vorbereitung: Interner GMP-Walkdown, Abschluss offener Punkte, Dokumentenprüfung
- Inspektion: Begehung durch Behörden, Stichproben, Interviews mit Schlüsselpersonal
- Nachweise: CE-Konformität, Maschinenrichtlinie (falls relevant)
- Genehmigung: GMP-Zertifikat oder Herstellungserlaubnis wird offiziell erteilt
Phase 7: Produktionsanlauf und kommerzieller Betrieb
Ziel:
Der Betrieb startet kontrolliert und unter vollständiger GMP-Überwachung.
Bestandteile:
- Ramp-up: Startchargen mit erweitertem Qualitätssampling und Trendüberwachung
- Prozessoptimierung: Feintuning, Steigerung der Gesamtanlageneffektivität (OEE)
- Lifecycle-Management: Wartungs- und Requalifizierungszyklen (alle 3–5 Jahre)
- Change-Control: Requalifizierung bei kritischen Änderungen
- Betriebsstruktur: SOPs, KPI-Monitoring, kontinuierliche Schulung der Mitarbeitenden
Reinraum erfolgreich qualifizieren: eine Fallstudie
Die folgende Fallstudie skizziert alle Schlüsselschritte der Planung und Qualifizierung eines Reinraums:
5 große Herausforderungen bei der Planung und Qualifizierung von Neubauten
Herausforderung | Lösungsansatz |
---|---|
Zeit- und Kostendruck |
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Unklare Anforderungen / Scope Creep |
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Schnittstellen zwischen Gewerken |
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Dokumentationsflut & Datenintegrität |
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Saisonale Qualifizierung & Umwelteinflüsse |
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Was sind die neuesten Trends bei Pharma-Neubauten?
Die Integration digitaler Technologien in Pharma-Neubauten revolutioniert die GMP-Compliance bei Neubauten. Moderne Projekte setzen auf durchgängige Digitalisierung: von BIM in der Planung über elektronische Batch Records bis zu KI-gestützter Predictive Maintenance. Paperless Qualification mit digitalen IQ/OQ/PQ-Protokollen nach 21 CFR Part 11 beschleunigt Reviews. Real-Time-Monitoring überwacht kontinuierlich Partikelzahl, Differenzdruck und Temperatur. Cloud-basierte QMS vernetzen alle Stakeholder und das vom Engineering bis zur Produktion. Diese digitale Transformation macht Pharma-Neubauten nicht nur audit-ready, sondern schafft die Basis für kontinuierliche Prozessverbesserung durch Big-Data-Analytics.
Checkliste: Pharma-Neubau Qualifizierung & Validierung
□ Konzeptphase
□ User Requirements Specification (URS) erstellt und von allen Stakeholdern freigegeben
□ Risikoanalyse nach ICH Q9 durchgeführt (FMEA/HAZOP)
□ Qualifizierungs-Masterplan (VMP) verfasst und genehmigt
□ Kritische Systeme identifiziert und priorisiert
□ Budget für Qualifizierung (min. 15-20% der Gesamtkosten) eingeplant
□ Planungsphase
□ Design Qualification (DQ) für alle GMP-kritischen Systeme durchgeführt
□ Traceability Matrix von URS zu Design erstellt
□ FAT/SAT-Anforderungen in Lieferverträge integriert
□ Change-Control-Prozess etabliert
□ Qualifizierungsprotokolle vorbereitet
□ Bauphase
□ GMP-Bauüberwachung implementiert
□ Materialnachweise und Zertifikate gesammelt
□ As-Built-Dokumentation fortlaufend aktualisiert
□ Lieferanten-FATs witnessed und dokumentiert
□ Commissioning-Plan erstellt
□ Qualifizierungsphase
□ IQ-Protokolle ausgeführt (Installation, Kalibrierung, Utilities)
□ OQ-Protokolle durchgeführt (Funktionen, Alarme, Grenzwerte)
□ PQ-Protokolle mit Testchargen abgeschlossen
□ Abweichungen via CAPA-System bearbeitet
□ Qualifizierungsberichte von QA freigegeben
□ Dokumentation & Compliance
□ ALCOA+-Prinzipien bei allen Aufzeichnungen eingehalten
□ Elektronische Signaturen gemäß 21 CFR Part 11 validiert
□ SOPs für Betrieb und Wartung erstellt
□ Schulungsnachweise für alle Mitarbeitenden dokumentiert
□ Re-Qualifizierungsintervalle festgelegt
□ Behördliche Abnahme
□ Pre-Inspection-Audit durchgeführt
□ Inspection Readiness Package zusammengestellt
□ Mock-Inspection mit externen Auditoren absolviert
□ Alle Punch-List-Punkte geschlossen
□ GMP-Zertifikat/Herstellungserlaubnis erhalten
Fazit: GMP-Compliance beginnt bei der Konzeption des Neubaus
Ein Pharma-Neubau ist weit mehr als ein Großprojekt: Er legt den regulatorischen Grundstein für alle künftigen Chargen. Wer bereits in der Konzeptphase GMP- und Risikoanforderungen in jede Planungsentscheidung einwebt, spart später teure Nachrüstungen, verkürzt Qualifizierungszeiten und minimiert Audit-Risiken.
Das sollten Sie unbedingt mitnehmen
- Früh festlegen, gründlich planen: Eine belastbare URS und ein genehmigter Business-Case bilden die unverrückbare Basis.
- Design Freeze ernst nehmen: Erst wenn DQ & Risikoreviews abgeschlossen sind, dürfen kritische Systeme bestellt werden.
- Commissioning zahlt sich aus: Jede behobene Punch-List-Position reduziert spätere IQ/OQ-Abweichungen.
- Dokumentation live pflegen: ALCOA+ gilt ab dem ersten Draft; stapelweises Nachschreiben ist keine Option.
- Lifecycle im Blick behalten: Wartung, Re-Qualifizierung und Change-Control sind Teil des Business-plans, nicht Nachgedanken.
Machen Sie Ihren Pharma-Neubau GMP-compliant
GMP-Compliance beginnt nicht erst beim Audit, sondern mit der ersten Skizze. Wer Planung, Qualifizierung und Dokumentation frühzeitig richtig aufsetzt, spart Zeit, Kosten und Nerven. Unsere Experten begleiten Sie durch alle Phasen Ihres Neubaus – von der URS über die DQ bis zur letzten PQ.
Verwendete Quellen
European Commission Health and Food Safety. (2015). EudraLex – Volume 4, Annex 15: Qualification and Validation. URL: https://health.ec.europa.eu/document/download/7c6c5b3c-4902-46ea-b7ab-7608682fb68d_en?filename=2015-10_annex15.pdf (zuletzt abgerufen Mai 2025).
European Commission Health and Food Safety. (2011). EU-GMP-Leitfaden, Teil I, Kapitel 4 „Documentation“. URL: https://health.ec.europa.eu/document/download/104b3eb8-81a7-4858-9419-cb06562adb66_en?filename=chapter4_01-2011_en.pdf (zuletzt abgerufen Mai 2025).
U.S. Food and Drug Administration (FDA). (2023). 21 CFR Parts 210 & 211 – Current Good Manufacturing Practice for Drugs. URL: https://www.ecfr.gov/current/title-21/chapter-I/subchapter-C (zuletzt abgerufen Mai 2025).
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PIC/S. (2023). PI 006-3: Recommendations on Qualification & Validation. URL: https://picscheme.org/en/publications (zuletzt abgerufen Mai 2025).
International Council for Harmonisation (ICH). (2005). ICH Q9: Quality Risk Management. URL: https://database.ich.org/sites/default/files/Q9_Guideline.pdf (zuletzt abgerufen Mai 2025).
International Council for Harmonisation (ICH). (2008). ICH Q10: Pharmaceutical Quality System. URL: https://database.ich.org/sites/default/files/Q10_Guideline.pdf (zuletzt abgerufen Mai 2025).
International Organization for Standardization (ISO). (2015). ISO 14644-1:2015 – Cleanrooms and associated controlled environments — Part 1: Classification of air cleanliness by particle concentration. URL: https://www.iso.org/standard/53394.html (zuletzt abgerufen Mai 2025).
International Organization for Standardization (ISO). (2019). ISO 14644-16:2019 – Code of practice for cleanroom energy efficiency. URL: https://www.iso.org/standard/66331.html (zuletzt abgerufen Mai 2025).
ISPE. (2019). Baseline® Guide, Volume 5: Commissioning & Qualification (2nd Edition). URL: https://ispe.org/publications/guidance-documents/baseline-guide-vol-5-commissioning-qualification-2nd-edition (zuletzt abgerufen Mai 2025).